Interview: Melanie Fürer - Genossenschaft gmüesabo - Zukunftmodell Solidarische Landwirtschaft - Lieber originell als konventionell

 


Bild. gmüesabo

Melanie, Regionale Vertragslandwirtschaft - Solidarische Landwirtschaft – Was muss sich ein Laie unter diesen Begriffen vorstellen?

Die Mitglieder gehen bei dieser Wirtschaftsform eine direkte und längerfristige Kooperation mit den Biobäuerinnen und -bauern ihrer Umgebung ein (Regionale Vertragslandwirtschaft/RVL). So ist zu Jahresbeginn bereits bekannt, für wie viele Leute Lebensmittel erzeugt werden sollen. Alle Erzeugnisse des Betriebes werden unter den Mitgliedern verteilt. Wetterbedingt kann der Ertrag variieren. Dieses Risiko wird von ihnen solidarisch und mit den Bäuerinnen/Bauern geteilt.

 

Das Geld, welches die Mitglieder jährlich in die Kooperation einbringen, kommt direkt den ProduzentInnen zu Gute und deckt die Kosten für Anbau und Vertrieb. Folglich können in der solidarischen Landwirtschaft (Solawi) höhere Löhne bezahlt werden, als es in der herkömmlichen Landwirtschaft üblich ist.

 

Wer bei euch ein Abo hat und frisches Gemüse bekommt, muss 12 Stunden im Jahr auf dem Acker mithelfen. Ist das eine Bedingung und welche Idee steckt dahinter?

Es geht darum, welchen Stellenwert ich meinem Essen im Leben einräume. Wenn ich eine Zwiebel in meinem Gemüsekorb entdecke und weiss, diese habe ich im Herbst in den Boden gesteckt, dann macht mich das glücklich. Ich habe wieder eine unmittelbare Verbindung zu meinen Lebensmitteln. Das Gemüse wird für mich zu etwas Wertvollem, das ich nicht mehr achtlos wegwerfe.

 

Die StädterInnen wieder näher zu ihren Lebensgrundlagen zu bringen, ist eine Grundidee des gmüesabos. Ich bin nicht mehr nur Konsumentin, sondern auch Produzentin. Daher ist eine minimale Mitarbeit Bedingung für den jährlichen Gemüsebezug. Wer sich das Abo teilt, kann sich auch die Stunden teilen. Ist mir die Mitarbeit auf dem Feld nicht möglich, kann ich mich auch in einem anderen Projektbereich einbringen und z. B. Fotografieren, Anlässe organisieren oder Kinder betreuen. Und wenn ich mal vorübergehend gar keine Zeit habe, zahle ich die nicht geleistete Mitarbeit Ende Jahr.

 

 «Das Gemüse wird für mich zu etwas Wertvollem, das ich nicht mehr achtlos wegwerfe»

 

Sind für den Anbau Fachleute angestellt oder genügt dazu ein «grüner» Daumen?

Das gmüesabo hat den Anspruch, den jährlichen Gemüsebedarf eines Haushalts zu decken. Bei rund 130 Abos und all den Gesetzen und Regeln in der Landwirtschaft ist das eine Herausforderung. Da ist unsere Genossenschaft zwingend auf die Arbeit und das professionelle Fachwissen ausgebildeter GemüsegärtnerInnen angewiesen. Diese sind trotz saisonaler Arbeit in Jahresarbeitszeit und unbefristet angestellt. Die Fachkräfte erhalten also von Januar bis Dezember ein regelmässiges Einkommen. Ihr Lohn ist ausserdem gesichert, da die Genossenschaftsmitglieder ihren Betriebsbeitrag im Voraus, also zu Jahresbeginn, bezahlen. Alle anderen Arbeiten des Betriebes werden in Freiwilligenarbeit übernommen. Da ich mein eigenes Gemüse unter fachkundiger Anleitung anbauen kann, brauche ich nicht mal einen „grünen“ Daumen. Selber lerne ich viel für meinen privaten Experimentiergarten dazu. Meine Wertschätzung für die Arbeit der GemüsegärtnerInnen hat sich durch den Einblick in die biologische Landwirtschaft stark erhöht.

 

Damit man sich ein Bild machen kann: Wie gross ist die Fläche, auf der ihr das Gemüse anbaut und welche Hilfsmittel (Gewächshäuser etc.) werden dafür eingesetzt?

Wir haben das Glück, ein stillgelegtes Gärtnereiareal pachten zu können, mit zweckdienlichen Räumen, zwei frostfrei gehaltenen Gewächshäusern (total 4.2 Aren) mit Regenrückhaltebecken sowie einem unbeheizten, kleineren Tunnel. In direkter Nachbarschaft hat die befreundete Familie Frei ihren Biohof. Sie arbeitet seit unserem Umzug eng mit dem gmüesabo zusammen. So ist unser Acker in die Fruchtfolge-Rotation der hofeigenen Freilandflächen eingebunden. Das aktuelle Feld ist rund 20 Aren gross. Ein Besucher meinte kürzlich, es sähe wie ein Bäuerinnengarten aus, einfach viel grösser. Dies hat damit zu tun, dass wir kleinräumig eine grosse Vielfalt an Gemüsekulturen anbauen. Bei uns entdeckt man auch viele ungewohnte und alte Sorten, die Biodiversität wird grossgeschrieben. Der allergrösste Teil der anfallenden Arbeit wird Boden schonend mit Handgeräten ausgeführt. Für die aufwändige Grundbodenbearbeitung auf dem Aussenfeld dürfen wir auf die maschinelle Unterstützung der Bauernfamilie zählen. Durch hofeigenen Dünger (Mist der Kühe), die Fruchtfolge und der Wasser sparenden Tröpfchenbewässerung haben die Pflanzen genügend Nährstoffe für ihr Wachstum und durch das Ansiedeln von Nützlingen beugt das Gartenteam Schädlingen vor.

 

 «Bei uns entdeckt man auch viele ungewohnte und alte Sorten, die Biodiversität wird grossgeschrieben»


Euer Gemüse ist Bio-Suisse zertifiziert. Wie sieht so ein Gemüsekorb aus und wie viel kostet das Abo und was beinhaltet es alles?

Der Inhalt des Gemüsekorbes richtet sich nach der Saison: was auf den Feldern erntereif ist, wird frisch in die Körbe verteilt. Im Sommer ist das in unseren Breitengraden mehr als im Winter. Zum Beispiel gibt es im August in einer Woche Tomaten, Gurken, Karotten, Fenchel, Auberginen, Krautstiel und Mais. Im Januar gibt es beispielsweise Nüsslisalat, Kürbis, Kartoffeln, Federkohl und Knollensellerie. Die saisonalen Schwankungen gleichen wir etwas aus, indem wir in den Wintermonaten teilweise Gemüse von mit uns vernetzten, regionalen Bio- oder DemeterproduzentInnen zukaufen. Unser Abo besteht nur aus Gemüse. Umso grösser ist die Vielfalt an Sorten, Formen und Farben. Mein Speiseplan hat sich durch das gmüesabo immens verbreitert. Ich schätze auch, dass beispielsweise kleingewachsene Randen nicht auf dem Feld liegen bleiben. Das Gemüse hat maximalen Geschmack und ein natürliches anstatt ein einheitliches, makelloses Aussehen.

 

Da das gmüesabo konsum- anstatt preisorientiert funktioniert, bezahlen wir als AbonnentInnen nicht für die einzelne Peperoni oder den Salat, sondern wir beteiligen uns solidarisch mit einem Jahresbeitrag an den Betriebskosten. Für aktuell 980.- CHF im Jahr, sprich für rund 20.- CHF/Woche essen mein Partner und ich frisches, regionales, saisonales, Pflanzen freundlich und umweltbewusst produziertes Biogemüse. Im Jahresbeitrag enthalten sind – und das ist relevant – ein anständiger Lohn und ein faires Anstellungsverhältnis für die Fachkräfte. Bei einem höheren Gemüsebedarf hätten wir die Möglichkeit, ein grösseres Abo mit höherem Betriebsbeitrag zu wählen.

 

Ein kleiner Ausblick in die Zukunft – Solidarische Landwirtschaft als Zukunftsmodell – Was muss sich ändern und bei wem, damit es ein Zukunftsmodell wird?

Das gmüesabo und zahlreiche andere Projekte in der Schweiz, in Frankreich, Deutschland und Österreich zeigen, dass es bereits heute möglich ist, für die Landwirtschaft und den Konsum unseres Essens eine solidarische Wirtschaftsform zu leben. Was es dazu braucht, sind Menschen, die es anpacken und mitmachen. In Frankreich und der französischen Schweiz haben sich viele Projekte der solidarischen Landwirtschaft (Solawi) mit Institutionen wie Kitas, Hort, Altersheimen und Kantinen zusammengeschlossen. Nach dem Solawi-Modell können selbst ganze Höfe betrieben werden. In Deutschland gibt es bereits viele solcher Hofgemeinschaften, erste Beispiele sind auch in der Schweiz entstanden.

 

Das Potential dieser Wirtschaftsform ist riesig, denn das Bedürfnis der KonsumentInnen nach regionalem, saisonalem und gesundem Essen steigt. Gleichzeitig ist Solawi in der Bevölkerung und insbesondere unter LandwirtInnen immer noch wenig bekannt und in ihren traditionellen Ausbildungsstätten noch kein Thema. Der Weltagrarbericht von 2008 zeigt auf, in welche Richtung sich die Landwirtschaft entwickeln muss, wenn wir die Welt von morgen ernähren wollen: kleinräumig und biologisch. Es wäre wünschenswert, wenn es noch mehr Solawi-Initiativen geben würde, so dass jede Person in ihrer Region die Möglichkeit hätte, ihre Lebensmittel auf diese Weise zu beziehen.

 

rr/mf 15.2.2020

 

 

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gmüesabo

Seit 2015 ist das gmüesabo als Genossenschaft organisiert. Das gemeinsame Tragen und Entwickeln des Vertragslandwirtschaftsprojekts durch KonsumentInnen und ProduzentInnen wird dadurch verbindlicher gestaltet, in ideeller, personeller und finanzieller Hinsicht.

Eine Genossenschaft bezieht ihr Kapital aus den Einlagen der GenossenschafterInnen. Die Mitgliedschaft in der Genossenschaft gmüesabo ist deshalb geknüpft an den Erwerb von mindestens einem rückzahlbaren Anteilschein à CHF 100.-- (einmalige Einlage). Sollte die Einlage ein finanzielles Problem darstellen, kann mit der Betriebsgruppe eine individuelle Abmachung getroffen werden.

 

Genossenschaft gmüesabo | c/o machwerk | Lagerplatz 13 | 8400 Winterthur

Webseite besuchen

Weiterführende Links zum Thema:

Übersichtskarte der Kooperationsstelle für solidarische Landwirtschaft

Webseite besuchen

Charta des Verbandes "Regionale Vertragslandwirtschaft"

Webseite besuchen

 


Impressionen gmüesabo (Bilder anklicken zum Vergrössern)

Gemüsevielfalt auf der gmüesabo-Freilandfläche vom letzten Sommer

Gewächshaus

Frisches, knackiges Biogemüse direkt vom Acker

Gemüsekorb

Tomaten im durch Regenrückhaltebecken und Tropfschläuche nachhaltig bewässertes Gewächshaus



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